Als Gottfried Haller den Landwirten rund um Augsburg nach dem Zweiten Weltkrieg empfiehlt, die Pferde und Ochsen vom Feld zu nehmen und stattdessen einen mit Diesel betriebenen Traktor einzusetzen, kontern die Bauern empört: „Du bist verrückt! Das ist Teufelszeug, so was macht man nicht!“ Seinem Nachfahren Andreas geht es nicht anders. Im Gespräch mit großen Fahrzeugherstellern hört er meistens: „Wir machen Diesel und das bleibt so.“ Was ja irgendwie auch logisch ist, wenn man doch einen gut funktionierenden Dieselmotor entwickelt hat, der immerhin aus zirka 25.000 Einzelteilen besteht. Nur zum Vergleich: Bei einem gängigen Elektromotor sind es gerade mal 2.000.
Die Zurückhaltung der Hersteller aber bleibt. Selbst dann, als schon mehr als die Hälfte der deutschen Kommunen die Elektrifizierung ihrer städtischen Flotte in Angriff nehmen. Da ist er also wieder, dieser Schlüsselmoment auf dem Weg in ein neues Zeitalter. 2019 gründet Andreas Haller die Quantron AG, eine Art elektrifizierten Ableger des Familienbetriebs Haller Nutzfahrzeuge.
„Die Zukunft beginnt jetzt“, verspricht er in Präsentationen, Broschüren und Diskussionsrunden. Quantron stehe für E-Mobilität im Personen- und Güterverkehr. Innerstädtisch, überregional und vor allem alltagstauglich. Die Idee: Um bestehende Ressourcen möglichst sinnvoll und nachhaltig zu nutzen, werden Bestandsfahrzeuge oder Gebrauchte umgebaut; entweder rein elektrisch oder samt Brennstoffzellensystem. In der Fachsprache heißt das dann „Repowering“. Das funktioniert beim Transporter für Logistik oder Handwerk ebenso wie beim Müllfahrzeug, Flughafenbus oder dem 44-Tonner für den Bau. Je nach Aufwand kostet der Umbau ab 35.000 Euro. Innerstädtisch und auf Distanzen von bis zu 200 Kilometern reicht der batteriebetriebene Antrieb, auf Lkw-Langstrecken von 300 bis 800 Kilometern braucht’s Wasserstoff.
45 Mitarbeiter sind zurzeit in dem Anfang des Jahres bezogenen Headquarter tätig. Auch Hallers Geschwister sind mit dabei. In ein paar Jahren sollen allein in Gersthofen 250 Kollegen arbeiten. In Vertrieb, Beratung und Marketing, aber auch in den Werkstatthallen als Hochvolt-Elektriker, Mechatroniker oder Karosseriebauer – für das Umrüsten von Fahrzeugen.
„Wir selbst werden keine eigenen Umrüst-Kits entwickeln“, erklärt Haller. „Unsere Partner machen das teilweise seit zehn Jahren, die können das besser.“ Es sind Firmen wie Elinta aus Litauen oder Emoss aus den Niederlanden, die Antriebskomponenten zum Elektrifizieren entwickelt haben: Von ihnen rollen schon mehr als 500 Beispiele auf Europas Straßen.
Seit vergangenem Jahr ist Quantron außerdem auch autorisierter Europa- Importeur von Contemporary Amperex Technology (CATL), dem weltweit größten Batterieproduzenten für Nutzfahrzeuge und Anwendungen in der Industrie.
Anders als manche Konkurrenz sind die Batterien aus China kobalt- und nickelfrei und vier namhafte Industriekonzerne haben in Rahmenverträgen mit Quantron für die kommenden Jahre bereits rund 600 Millionen Euro Umsatz avisiert. Zudem ist Quantron exklusiver Vertriebspartner für Elektrobusse des türkischen Herstellers Karsan Otomotiv, die mit BMW-Technik angetrieben werden. Das kleinere, fünf Meter lange Busmodell Jest Electric hat eine Reichweite von zirka 210 Kilometern. Der Preis beginnt je nach Version bei 210.000 Euro. Zu sehen sind die Busse zum Beispiel schon im Mitarbeiter-Shuttle-Betrieb der BMW-Werke durch den bayerischen Busunternehmer Stanglmeier.
„Unsere eigentliche Innovation ist, dass wir in kaum anderthalb Jahren ein ganzes Ökosystem aufgebaut haben. Und das umfasst unter anderem Consulting sowie Finanzierungs- und Policenangebote“, erzählt Haller. Sogar die Namen stehen schon fest: Q-Consulting, Q-Bank und Q-Versicherung. Noch in diesem Jahr will Quantron an die Börse gehen, möglicherweise sogar in den USA. „Ganz ehrlich: Ohne den Innovationskredit 4.0 der LfA und ohne die Digitalisierung wäre unser Baby nicht zur Welt gekommen“, sagt Haller. Das Baby wird richtig proper, das sieht man schon jetzt. Marktführer in Europa sei man bereits und im Augsburger Raum hoffen manche, dass Quantron einen Teil der Arbeitsplätze schaffen kann, die durch den Strukturwandel in anderen Unternehmen verloren gehen. Bis zu 500 Fahrzeuge sollen künftig pro Jahr in Gersthofen „repowert“ werden.
Um in Europa auf ein Jahresvolumen von mindestens 8.000 Fahrzeugen zu kommen, wird es neben dem Stammsitz weitere Standorte geben. Von den größeren, „Microfactories“ genannt, gibt es einen ersten Ableger in Norwegen. Die kleineren „Sales Points“ gibt es von Bologna in Italien und Tel Aviv in Israel über Lagos in Nigeria bis Rio de Janeiro in Brasilien. Dazu durch eine Allianz mit Alltrucks ein Netz von 700 Werkstätten sowie ein „Repowering“- Werk des Partners Koluman Otomotiv in der Türkei. Ja, die Zukunft hat längst begonnen. In den kommenden fünf Jahren müssen allein in Europa etwa 25.000 Busse elektrifiziert werden.
In Europa rollen schon mehr als 500 umgerüstete Fahrzeuge
Vielleicht ist all das nur möglich, weil Haller aus Erfahrung klug ist, aus der Erfahrung von fünf Generationen. Sein Familienbetrieb begann 1882 als Lohnkutscherei in Augsburg. Später, im Jahr 1954, erwarb Haller das Vertriebsrecht von Magirus und wurde somit einer der ersten Magirus- Händler in der Region Schwaben. Seit 1997 ist Haller außerdem Iveco-Premium-Werkstatt.
Näher kann man also nicht dran sein an der Möglichkeit, Güter und Personen zu transportieren – und an der Tatsache, dass sich die Mittel des Transports verändern. 2011 verkaufte Andreas Haller den ersten E-Bus Deutschlands an die Stadtwerke Osnabrück. Ein paar Jahre später trommelte der heute 42-Jährige in seiner Firma einen Arbeitskreis namens „Haller Smart Mobility“ zusammen.
Gemeinsam mit drei Kollegen aus Vertrieb, Service und Buchhaltung diskutierte er mehr als drei Jahre lang über die Zukunft der Mobilität und darüber, was der Wandel für Branche und Unternehmen bedeuten könnte. „Uns wurde klar, dass der Service von Nutzfahrzeugen Hosting wird“, so der gelernte Kfz-Mechaniker. Aber was bedeutet das für die Zukunft von Firma und Mitarbeitern?
„Es kann nicht darum gehen, alle bestehenden Verbrenner durch neue Elektrofahrzeuge zu ersetzen“, so Haller weiter. „Das funktioniert allein schon in puncto Umweltbilanz nicht. Ein gebrauchtes Fahrzeug umzurüsten, spart 60 Prozent CO2 im Vergleich zur Produktion eines neuen.“
Das vorhandene Fahrzeugchassis wird beibehalten. Die Teile des Verbrennerantriebs, die durch das Umrüsten keine Verwendung mehr finden, werden nachhaltig verwertet. So gehen etwa Motor, Getriebe und Abgasanlage als zukünftige Ersatzteile an den Hersteller zurück.
Trotz der Anschaffungskosten lohne sich die Umrüstung, erklärt Haller: „Die bisherigen Betriebskosten wie Öl- oder Filterwechsel, Ersatz von Verschleißteilen wie der Kupplung oder typische Arbeiten bei Wartung und Einstellung fallen nach der Elektrifizierung einfach weg. Auf lange Sicht gesehen, wirkt sich so auch die Entwicklung der Kosten positiv auf die E-Mobilität aus.“ Überhaupt scheint doch manches Alte erhaltenswert: In der privaten Garage von Haller steht eine alte Vespa, hellblau, 125 Kubik, Baujahr 83. Ab und zu dreht er mit seiner Frau in Augsburg eine kleine Runde. Und noch fährt die Vespa mit Benzin.