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Kunstkalender 2019 – Kalenderblatt Januar

Metadaten

Kategorie
Kunstkalender
Mediatyp
Bilder, Video
Jahr
2019

Technische Daten

  • Klasse Blumenstein
  • Im Zeichen der Gänsehaut
  • 2018
  • Maße variabel
  • Installation

Im Zeichen der Gänsehaut

Unsere Abbildung verrät ein Geheimnis. Sie zeigt den verborgenen Raum, das „Heiligtum der Installation“, welches
der Wandtext in der Ausstellungshalle der Nürnberger Kunstakademie verhieß. Um dorthin zu gelangen, musste man sich einem mehrteiligen Ritual unterziehen. Durch einen Sprühnebel aus Wasser gelangte man an eine Barriere, hinter der sich eine Rollschuhbahn befand. Vor der Barriere konnte man Platz nehmen, um sich die bereitgestellten Rollschuhe anzuziehen. Es waren vierrädrige Modelle mit gebrauchtem Charme, wie man sie von früher kennt bevor die Rollerblades auf den Markt kamen. Die Bahn endete an einer Wand, durch welche rechts und links eine Tür führte. Zog man den Vorhang, mit dem der Durchgang verdeckt war, beiseite, blickte man in einen dunklen Raum, in dessen Zentrum ein Scheinwerferkegel zum Eintreten bzw. ­fahren einlud. Man rollte also in diesen Raum und erinnerte sich vielleicht, wenn man den Text gelesen hatte, daran, dass eine „transzendente Erfahrung“ angekündigt worden war. Falls sich diese nicht sofort eingestellt haben sollte, dann war zumindest den meisten Mitmachenden dieser Inszenierung ein großer Spaß bereitet, manchmal verbunden mit der Erinnerung an die große Zeit der Rollerdiscos vor Jahrzehnten. Auf alle Fälle aktivierte die Installation ganze Familien und wurde schnell zu einem Anziehungspunkt für viele Besucher*innen, die eigens des­ halb zur Nürnberger Jahresausstellung kamen.

Die Beschwörungen des Wandtextes mit Begriffen wie Heiligtum und Transzendenz mögen ironisch wirken. Dennoch hatte die Gruppenarbeit der Projektklasse von Ellen Blumenstein, die sich als „Kohorte Blumenstein“ bezeichnete, neben hohem Spaßfaktor einen kritischen Moment. Das Thema der Zeremonie oder des Ritus war der theoretische Ausgangspunkt der Gemeinschaftsarbeit, die nicht zufällig für die Jahresausstellung entstand. Keine Autorin, kein Autor konnte diese Arbeit für sich in Anspruch nehmen. Die gemeinschaftliche Inszenierung der Kohorte besetzte mit der Ausstellungshalle einen Ort, welcher den repräsentativen Charakter der Akademie unterstreicht ­ das alte Bauensemble besitzt „nur“ eine Aula, jenen historischen Versammlungsort einer Lehranstalt, deren Zweck vornehmlich die Ausbildung von Studierenden war. Doch inzwischen ist der Rummel um das Ausstellen sehr laut geworden, die Party gehört unbedingt dazu. Und zugleich die Konkurrenz der Studierenden, der sich die Kohorte versagte. Der Scheinwerferkegel, das „Rampenlicht“, in das jeder ein­ rollen konnte, verweist auf den Mechanismus des Heraustretens aus der Masse und des Sich­selbst­Inszenierens. „Im Zeichen der Gänsehaut“ bricht das Pathos der „Weihestätte“, die Marktgängigkeit der Autorenwerke und stellt sich in die Tradition sozialer Plastik und eines erweiterten Kunstbegriffs. Die Aktivierung des Publikums ist dafür unabdingbar – möglicherweise sogar mit Gänsehaut beim Rollschuhlaufen.

Text: Jochen Meister

Die Künstler

Klasse Blumenstein
Klasse Blumenstein
Künstler*innen der Klasse Blumenstein v.l.n.r.

Jigyeong Yoon, Jonas Johnke, Linda Wagner, Patricia Leon-Torres, Linda Werner