Kunstkalender 2020 – Kalenderblatt April
Geheimnisvoll schaut uns ein Auge aus einem versteckten Gesicht an. Der Kopf ist verborgen unter
einer dunkelblauen Malschicht, welche mit Aufhellungen die Gesichtszüge abstrakt und unmaßstäblich nachmodelliert und einen flächigen Körper bildet. Wimpern, Augenbraue, Haaransatz: Die detaillierte Feinmalerei des hellen Gesichtsausschnitts steht in starkem Kontrast zu ihrer Umgebung, sowohl dem dunklen Körper als auch dem Hintergrund, einer einfarbigen tiefblauen Folie über einer blauschwarzen detaillosen Landschaft, die mit der Figur verschmilzt. Schaut das Auge uns wirklich an? Oder hält es eine Art innere Schau? Der Titel von Lara Kochs kleinformatiger Malerei, auf Deutsch „Traum“, lässt bereits erahnen, dass es nicht um einen herkömmlichen Dialog zwischen Innen und Außen geht. Die Malerin spricht von einem Tagtraum, von der Sehnsucht nach etwas Großem, dem Meer, wenn sie über die Motivation zu diesem Motiv redet. Nicht ein konkreter Strand steht dabei im Sinn, sondern ein „ozeanisches Gefühl“, denn das Meer ist die stille Weite, in deren Angesicht man zu sich selbst finden kann. Es ist der Moment der Selbstverlorenheit, des Erfasstseins von etwas, das unfassbar scheint.
Die Malerin entschleunigt. Was als Modebegriff inzwischen oft nur noch Worthülse ist, bedeutet im Prozess der Bildentstehung den konkreten Wechsel zwischen einer schnellen, unmittelbaren Zeichnung und dem folgenden langsamen Malvorgang. In traditioneller Technik legt Lara Koch einzelne Malschichten übereinander. Sie widmet sich einem durchdachten malerischen Bildaufbau, der Zeit benötigt und eine intensive, dem Medium ganz eigene Erscheinung hervorbringt. Das sichtbare Resultat dieses langsamen Entwickelns trifft sich mit dem Sehnsuchtsmotiv. So entsteht ein kleines Gemälde, das die Innerlichkeit mit großer Sinnlichkeit verbindet.
Text: Jochen Meister
Die Künstlerin
