Kunstkalender 2021 – Kalenderblatt Januar
Es ist also keineswegs die Präzision einer Maschine, sondern die Hand des Malers, die die Zeichen erschaffen hat. Interessant ist der Effekt, wenn statt der Zeilen die Spalten gelesen werden. Denn durch die Verschiebung der Sätze entsteht dort ein binärer Code aus jeweils zwei unterschiedlichen Buchstaben oder einem Buchstaben und einem Leerzeichen. Es ist nicht schwer zu erraten, dass es Lukas Mletzko in seinem Gemälde um ein heiß diskutiertes Thema geht. Der im Titel genannte Begriff »Crispr« bezeichnet einen kurzen DNA-Abschnitt, der sich wiederholt und dessen Entdeckung in der Folge dazu führte, Eingriffe (theoretisch) auch am menschlichen Erbgut vorzunehmen. Ganz aktuell erhielten die beiden Erfinderinnen dieser sogenannten »Genschere« 2020 den Nobelpreis für Chemie. Mit dieser Methode wäre es etwa möglich, Erbkrankheiten zu behandeln – oder Supermenschen zu konstruieren, wie Kritiker befürchten. In den Arbeiten von Lukas Mletzko ist der Transhumanismus, also die Vorstellung, Menschen durch technische Eingriffe zu perfektionieren, ein zentrales Thema. Aus der klassischen Porträtmalerei kommend, interessierte ihn, wie weit ein traditionelles Medium, das so alt wie die Zivilisation ist, dennoch nach vorne blicken kann. Dass die Körper mit den abgestuften Helligkeitsverläufen zugleich wie sichtbare Kraftfelder wirken, ist dabei sehr stimmig. Er schafft Porträts von anonymen künftigen Individuen, von denen die Schrift verkündet: Wir werden im 21. Jahrhundert geboren werden.
Text: Jochen Meister
Der Künstler
