Sie sind seit Anfang April eine der fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung. Welches Thema ist dramatischer für unsere Ökonomie: die Corona-Pandemie oder der Klimawandel?
Beides ist gleichermaßen dringend, wenn auch auf unterschiedlichen Zeitachsen. Bei Corona geht es um schnelle Reaktionen, um effektiven Gesundheitsschutz, aber auch um starke wirtschaftliche Auswirkungen. Beim Klimaschutz hat sich schon vor Corona einiges in die richtige Richtung bewegt, da müssen wir dranbleiben. Die Wirtschaft befindet sich seit einiger Zeit in einem Strukturwandel, diese Anpassungen brauchen Zeit und können politisch gebremst oder eben befördert werden. Ganz wichtig war es deswegen, die Corona- Rettungsmaßnahmen mit einem Zukunftspaket zu verbinden. Es ist ein wichtiges Signal, dass wir nicht Geld ausgeben, um Bestandswahrung zu betreiben. Wir müssen zukunftsgerichtet investieren.
Deutschlands Wirtschaft hat in den vergangenen Monaten aber auch einen historischen Einbruch erlebt, sie ist zwischen April und Juni um 10,1 Prozent geschrumpft. Können wir uns die Kosten der Energiewende überhaupt noch leisten?
Mit dem Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden, ist ein ganz anderer Druck entstanden, die Energiewende zu betreiben. Anders als bei einem 85-Prozent-Ziel darf nun perspektivisch kein Bereich bei der Defossilisierung ausgespart werden. Das bedeutet, dass gasförmige und flüssige Energieträger eine wichtige Rolle spielen werden. Denn ohne sie lassen sich schwere Fahrzeuge, Schifffahrt und Luftfahrt sowie Teile der Industrie nicht defossilisieren. Interessanterweise schlummert genau in diesem Bereich auch ein großes industrielles Wertschöpfungspotenzial für Deutschland und Europa. Die deutsche und insbesondere auch die bayerische Industrie sind exzellent aufgestellt, Schlüsselkomponenten einer zukünftigen Wasserstoffwirtschaft zu produzieren – vom Maschinenbau über die Automobil- und Zulieferindustrie bis hin zur Chemieindustrie. Ich sehe den Klimaschutz daher auch als echte industriepolitische Chance.
Wie wird denn unsere globalisierte Wirtschaftswelt nach Corona aussehen? Was ist dann anders?
Wir werden Anpassungen sehen, nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen schwelender Handelskonflikte, zum Beispiel zwischen den USA und China. Die Welthandelsorganisation (WTO) ist ja zurzeit eher dysfunktional. Gleichzeitig führen die Pandemie und ihre Folgen dazu, dass man einige Abhängigkeiten hinterfragt und Lieferketten neu aufgestellt werden – auf jeden Fall bei medizinischen Produkten. Wir werden trotz allem aber in einer zunehmend globalisierten Welt leben und brauchen dringend einen funktionsfähigen Rahmen für den Welthandel.
Und Deutschland und Bayern?
Wir müssen die Krise nutzen, um den Aufbau zukunftsfähiger Wertschöpfung auch hierzulande zu beschleunigen. Im Bereich der Digitalisierung hat sich durch Corona in kurzer Zeit viel getan. Diese Dynamik müssen wir aufrechterhalten, zum Beispiel durch die Digitalisierung der Verwaltung, der Schulen und den Aufbau von Infrastruktur. Viele Innovationen im digitalen Bereich – zum Beispiel im sogenannten Internet of Things – entstehen nur, wenn die digitale Infrastruktur existiert, um die Anwendungen auch flächendeckend nutzen zu können. Weitere Chancen bestehen zum Beispiel im Bereich klimaneutraler Technologien und Produkte. Hier erleben wir einen Wettlauf um die Technologieführerschaft; insbesondere die ostasiatischen Staaten drücken aufs Tempo. Dort wird die Entwicklung von staatlicher Seite massiv angeschoben. In Europa setzen wir auf die Marktwirtschaft. Wir brauchen da aber bessere regulatorische Rahmenbedingungen, damit klimaneutrale Technologien und Produkte zu attraktiven Geschäftsmodellen führen und die Unternehmen auch investieren. Es gibt zum Beispiel viele verzerrende Umlagen und Abgaben auf Energie, insbesondere auf Strom. Diese reduzieren die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.
Beschlossen wurde auch eine Reihe von Steuern, um unsere Umwelt besser zu schützen. Anfang 2021 wird eine „Plastiksteuer“ auf nicht recycelbaren Verpackungsmüll eingeführt. Spätestens 2023 soll es zudem eine sogenannte CO2-Grenzsteuer geben, die Importe aus Staaten stärker belastet, die keine so strengen Klimaschutzvorgaben wie die EU haben. Auch eine Steigerung der CO2-Verschmutzungspreise ist geplant und die Integration von Flug- und Schiffsverkehr in den Emissionshandel. Sind solche Steuern der richtige Weg?
Man muss da unterscheiden. Bei der Plastiksteuer bin ich sehr skeptisch, die scheint mir ein wenig geeignetes Instrument zu sein. Bei der Bepreisung von CO2-Emissionen bin ich anderer Meinung. Das ist der richtige Weg – weg von den vielfältigen Steuern und Abgaben auf Energie, hin zu einer sektorenübergreifend einheitlichen Bepreisung von CO2-Emissionen. Idealerweise in einem europaweiten Emissionshandel in allen Sektoren. Der Grenzsteuer-Ausgleich ist eine sehr schwierige Thematik. Eine Umsetzung an den Außengrenzen der EU kann leicht als Handelsbarriere interpretiert werden und so Konflikte provozieren. Es gibt aber Alternativvorschläge, wie zum Beispiel eine CO2-Konsumsteuer auf ausgewählte Produkte energie- und handelsintensiver Industrien. Für eine alle Produkte umfassende Lösung müsste man den CO2-Fußabdruck von jedem einzelnen Produkt vollständig erfassen. Ich halte das für kaum machbar.
Wird es unserer Gesellschaft jemals gelingen, Gewinnmaximierung und die Erwirtschaftung eines Mehrwerts im Sinne der Nachhaltigkeit wirklich zusammenzubringen?
Was wir aktuell erleben, ist ja bereits eine Umorientierung hin zu nachhaltigem Wirtschaften. Der Weg ist aber noch weit. Wichtig ist, die Rahmenbedingungen Stück für Stück so anzupassen, dass nachhaltige Geschäftsmodelle attraktiver werden. Nur intrinsische Motivation wird da nicht reichen.
Was genau bedeutet Energiewende überhaupt für Sie?
Mich fasziniert der Mut der Menschen, Dinge neu zu denken und Veränderungen zu gestalten. Neue technologische Möglichkeiten und Innovationskraft ermöglichen immer mehr eine Kreislaufwirtschaft, sodass wir weniger aus dem Bestand leben müssen. Wenn wir es richtig anpacken, geht es auch nicht vorrangig um eine Verzichtslogik, sondern um einen Perspektivwechsel dahingehend, was Wertschöpfung generiert. Man wird Wertschöpfungsprozesse weiterdenken, zum Beispiel, indem man aus industriellen Reststoffen wieder Kraftstoffe macht.
Laut dem „Energiewende-Monitoring“ der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft ist der Stromverbrauch seit 2014 nicht gesunken und die CO2-Emissionen sind nur unwesentlich niedriger als vor fünf Jahren. Ist das Ziel Bayerns, bis 2050 netto CO2-frei zu sein, überhaupt noch erreichbar?
Technologisch gesehen, ja. Die Frage wird sein, wie wir den Transformationsprozess gestalten. Dabei spielen auch Akzeptanzfragen eine große Rolle, wie etwa die in Bayern bei der Windenergie. Hier kann zum Beispiel die Beteiligung regionaler Stakeholder an der Wertschöpfung helfen.
Was kann denn jeder Unternehmer in Bayern tun, um das Klima zu schützen: erst die Gebäude energetisch sanieren oder doch die Fahrzeuge auf Elektromobilität oder Wasserstoff umstellen?
Es gibt viele Möglichkeiten, von der energetischen Sanierung bis zur Solaranlage oder integrierten Energiesystemen. Zum Thema Wasserstoff bringen wir im Wasserstoffbündnis Bayern auch verschiedene Akteure gezielt zusammen. Große Konzerne mit Mittelständlern und Kommunen. Gemeinsam entstehen Ideen, wie die Partner in Projekten ihre Kompetenzen einbringen und erweitern können. So wird die Technologie erprobt, die Kompetenz erweitert und es entstehen neue Geschäftsfelder. Brennstoffzellenfahrzeuge können zum Beispiel in einer kommunalen Busflotte oder in der Logistik einer Supermarktkette zum Einsatz kommen.
Fast die Hälfte des Stromverbrauchs in Bayern wurde 2018 regenerativ, also durch erneuerbare Energien, gedeckt. 2025 sollen es schon 70 Prozent sein. Was hat denn das größte Potenzial in Bayern: Photovoltaik, Geothermie, Biomasse, Wind- oder Wasserkraft?
Eine Mischung aus allem. Traditionell gibt es in Bayern viel Photovoltaik, aber auch die Windkraft kann stärker ausgebaut werden. Bei Biomasse ist das Potenzial begrenzt, da es Konkurrenz um die Anbauflächen gibt. Wasserstoff wird zum Großteil aus Regionen importiert werden, in denen die Gestehungskosten erneuerbarer Energien sehr niedrig sind.
Ökologie und Energieeffizienz kosten. Welche Rolle hat Ihrer Meinung nach bei diesen Investitionen die LfA Förderbank Bayern im Vergleich zu den herkömmlichen Banken?
Sie kann auf Kriterien der Nachhaltigkeit anders achten und sie kann andere Maßstäbe setzen als rein privatwirtschaftliche Banken. Sie kann Dinge durch eine Grundfinanzierung gangbar machen, die am freien Kapitalmarkt so erst mal nicht funktionieren würden.