Kunstkalender 2023 – Kalenderblatt Januar
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Ruth Brauchles Fotografie ist eine unwiderstehliche Einladung, sich vom ursprünglichen Zauber des Abbildens berühren zu lassen. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um eine Fotografie oder Malerei handelt. Tatsächlich wirkt die Komposition malerisch, das Motiv mit dem Schal erinnert an eine Heiligendarstellung. In der Malerei der Renaissance beispielsweise war das frontale Bildnis mit dem direkten Blick beliebt. Doch der Unterschied im Entstehungsprozess ist in dem Fall eklatant. Das Portrait von Noemi ist keine Erfindung. Es ist eine Schöpfung, bei der ganz plötzlich durch ein Gespür für die Situation der reale Moment gebannt wird.
In diesem Fall geschah dies mit Hilfe der analogen, chemischen Fotografie, was dem Werk einen zusätzlichen Impuls gibt. Denn anders als bei einer sofort verfügbaren, vergleichbaren, beurteilbaren Digitalaufnahme vergeht eine Menge Zeit, bis das Bild sozusagen auf die Welt kommt. Es ist das „Kind“ einer vergangenen Begegnung, das seine eigene, gegenwärtige Identität hat. Der richtige Moment ist – zugespitzt formuliert – keine Frage der Auswahl, sondern allein des Auslösers. Dieser jedoch ist in unserem Fall nicht nur der technische Mechanismus. Vielmehr wirkt hier der Augenblick, der die Künstlerin ungeplant und unvorhergesehen berührt und so zum eigentlichen Auslöser für dieses Portrait wird.
Text: Jochen Meister
Die Künstlerin
