Was erwarten Ihre Mitgliedsunternehmen von der neuen Bundesregierung?
Die Wirtschaft fordert, dass man sehr schnell zu einer wirtschaftspolitischen Kehrtwende kommt. Und dass die Maßnahmen auch zu greifen beginnen. Am wichtigsten für die Wirtschaft ist, dass wieder Verlässlichkeit ausgestrahlt wird. Gefordert werden klare Linien.
Was genau ist darunter zu verstehen?
Die Unternehmenssteuern deutlich senken, die Möglichkeiten zu Abschreibungen erhöhen. Und ganz wichtig: die Einführung der vollständigen Verlustverrechnung. In Deutschland werden Gewinne immer komplett sofort versteuert, Verluste können jedoch nicht alle unmittelbar gegengerechnet werden. In vielen anderen Ländern ist das nicht so. Und das hat gute Gründe.
Wie kann man die wirtschaftliche Lage in Bayern aktuell beschreiben?
Als schlecht. Das ist keine subjektive Einschätzung, sondern sie basiert auf Umfragen und belastbaren Zahlen. Der Indikator setzt sich aus zwei Indexpunkten zusammen: Wie ist die aktuelle Lage? Wie sind die Erwartungen? Wir hatten nach der Finanzmarktkrise 2008/2009 eine goldene Dekade. 2018 waren wir auf dem konjunkturellen Gipfel der Zugspitze. Dann begann der Niedergang. Er war nicht sofort zu erkennen, weil die gesamte Lage 2020 und 2021 von der Corona-Krise überdeckt wurde. 2022 folgte die Energiekrise. Wir sind nun seit drei Jahren beim Wachstum im Minusbereich, unsere inflationsbereinigte Wirtschaftsleistung ist auf dem Niveau von 2019, wir erleben die längste Konjunktur- und Strukturkrise, die wir in Deutschland jemals hatten.
In anderen europäischen Ländern ist die Lage weniger dramatisch.
Richtig. In anderen Eurostaaten wächst die Wirtschaft. Zum Beispiel sehr deutlich in Kroatien, Polen, Spanien und Griechenland. Im Zeitraum von 2019 bis 2024 lag das reale Wachstum in Deutschland bei insgesamt 0,1 Prozent. In den anderen Euroländern –ohne Deutschland – stieg es jedoch in diesem Zeitraum im Durchschnitt um fünf Prozent. Auch diese Länder litten unter Corona und der Energiekrise. Der wahre Grund für die Probleme Deutschlands: Es gab seit der Agenda 2010 von Gerhard Schröder, die er 2003 auf den Weg brachte, keine einzige Strukturreform mehr. Wirtschaftspolitik spielte keine große Rolle.
Es ist noch nicht lange her, dass Deutschland innerhalb der EU als der Klassenprimus galt.
Schauen wir zurück ins Jahr 2014. Der Wirtschaft ging es blendend. Deutschland steuerte auf die Vollbeschäftigung zu. Die Amerikaner und Chinesen rissen uns die Waren aus den Händen. Wir schlugen Brasilien bei der Fußballweltmeisterschaft in deren eigenem Land mit 7 zu 1 Toren und wurden Weltmeister. Wir hatten eine Kanzlerin, die auf der ganzen Welt anerkannt war. In Deutschland war die Stimmung so, als könne man über Wasser gehen. Aber es ist in der Wirtschaft wie im Sport: Man steht immer im Wettbewerb. Wenn man sich auf seinem Erfolg ausruht, ist das der Beginn vom Abstieg.
Warum schafft es Deutschland nicht, die Bürokratie einzudämmen?
Ein Beispiel: Ende 2007 wurde Edmund Stoiber zum ehrenamtlichen Leiter einer Anti-Bürokratie-Arbeitsgruppe der EU-Kommission ernannt und beseitigte tatsächlich eine Menge bürokratischer Regeln. Das Problem: Während er das tat, kippte die EU immer neue Bürokratie nach. Da konnte unser vormaliger Ministerpräsident vorn so viel schaufeln, wie er wollte: Der Bürokratiehaufen hinter ihm wurde immer größer. Wir haben vom ifo Institut untersuchen lassen: Was wäre, wenn wir ein Bürokratielevel wie Schweden hätten? Das Ergebnis: Wir hätten jährlich fast 150 Milliarden mehr Wirtschaftsleistung!
Was sollte die Politik daraus lernen?
Eine politische Kehrtwende erfolgt meist erst dann, wenn ein System an die Wand gedrückt ist. Dann erst entsteht bei der Politik Handlungsdruck. Deutschland ging es Mitte der 2010er-Jahre ausgesprochen gut. Dieser Erfolg trübte zugleich die politische Einsicht in Handlungsnotwendigkeiten für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Vorbereitung auf den natürlich schon damals bekannten Alterungsschub in Deutschland. Jetzt haben wir das Ergebnis versäumter Reformen: Die deutsche Wirtschaft wächst nicht mehr, das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Politik bröckelt.
Ist die aktuelle Wirtschaftskrise in Deutschland nur der Politik anzurechnen? Oder gab es auch Managementfehler bei den großen Konzernen?
Managementfehler gibt es immer: jeden Tag, in allen Ländern. Zu sagen, in Deutschland gibt es besonders viele Managementdefizite, halte ich für eine steile These, die auch nicht zu belegen ist. Was aber festzustellen ist: Wir hatten über eine lange Phase hinweg sehr günstige Energiekosten. Die Wirtschaft in Deutschland profitierte vom kostengünstigen Gas aus Russland. Was auch für die Verstromung extrem wichtig war. Doch Energie ist extrem teuer geworden – und bleibt das wohl auf absehbare Zeit. Denn aus der Kernkraft sind wir ausgestiegen und Kohlekraftwerke legen wir nach und nach still.
Um auf die positive Seite zu wechseln: München gehört laut einer Studie der Datenplattform Dealroom.co zu den zehn besten „Science Hubs“ (Wissenschaftszentren) weltweit.
Die bayerische Landeshauptstadt kann sich in manchen Punkten durchaus mit dem Silicon Valley messen. Und auch mit Tokio, in dessen Ballungsraum 37 Millionen Menschen leben. Besonders beeindruckend ist, dass der Raum München einer der führenden Standorte für Deep Tech ist. Das sind Unternehmen an der Schnittstelle von wissenschaftlicher Forschung zur Wirtschaft. Die Basis für Deep Tech sind exzellente Universitäten und herausragende Forschungsinstitute wie das Fraunhofer-Institut und das Max-Planck-Institut. München ist einer der wichtigsten Innovationsstandorte weltweit. Es gibt etwa 2.000 Start-ups. Und das „Munich Innovation Ecosystem“ bringt Start-ups und mittelständische Unternehmen schnell und effizient zusammen. Die IHK ist ein Partner dieses innovativen Netzwerks. Wie die Bayerische Staatsregierung mit der LfA das Thema Venture Capital, also RisikokapitalFinanzierung, ausbaut, ist sehr lobenswert. Wir müssen Bestandsunternehmen bewahren und zugleich die jungen, neuen Unternehmen willkommen heißen, ihnen Raum und Wertschätzung für ihre Geschäftsideen geben. Gute Finanzierungsbedingungen spielen für alle Unternehmen eine große Rolle und es ist gut, dass sie mit der LfA in Bayern einen schlagkräftigen und zuverlässigen Partner haben.
Sie haben mal den schönen Satz gesagt: „Die Hoffnung braucht Wahrheit.“ Wer sagt in Bayern derzeit die Wahrheit?
Das ist auch mein Job. Denn die IHK hat den gesetzlichen Auftrag zu sagen, was Sache in der Wirtschaft ist. Ohne den Leuten Angst zu machen. Unsere Unternehmerinnen und Unternehmer fordern aber auch von der Politik ein, Klartext zu reden. Es gibt von Kurt Tucholsky das Zitat: „Das Volk versteht das meiste falsch. Aber es fühlt das meiste richtig.“ Das Volk ist der Politik aktuell voraus. So sagen 85 Prozent der Wählerinnen und Wähler, dass Deutschland auf die Zukunft eher schlecht vorbereitet ist.
Wie steht die Wirtschaft in Bayern zum Thema Zuwanderung?
Eine qualifizierte Zuwanderung nach Deutschland ist weiterhin nötig. Aber es muss viel schneller und unbürokratischer gehen. So sollte es sein: Der Bewerber oder die Bewerberin aus dem Drittland meldet sich beim potenziellen Arbeitgebenden. Die beiden machen ein Online-Bewerbungsgespräch. Wenn der Arbeitgebende den Arbeitssuchenden verpflichten möchte, tut er das. Die Prüfung aller Voraussetzungen für eine Arbeitserlaubnis und die Aufenthaltsgenehmigung müssen dann eine Formsache sein. Im Moment ist das in Deutschland auf diese einfache Weise noch undenkbar. Aber es wird irgendwann so kommen, einfach weil der Druck unerträglich groß wird. Die Frage ist: Warum nicht gleich?
Wäre es nicht auch eine Lösung, dass Senioren länger arbeiten?
Wir müssen in der Tat alles tun, damit die Senioren länger an Bord bleiben. Denn sie sind schon hier, sie beherrschen ihren Job. Wenn sie noch ein Jahr länger arbeiten: super! Wenn sie zwei Jahre länger arbeiten: noch besser! Wenn sie nur 20 Stunden in der Woche arbeiten möchten: auch gut! Aber es muss sich für die Leute lohnen. Es ist extrem wichtig, dass die ersten 2.000 Euro Verdienst steuerfrei sind. Darin steckt ein enormes Potenzial. Genau das brauchen wir.
In Deutschland wurden 2024 über 20.000 Unternehmensinsolvenzen registriert. Die Tendenz ist steigend. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?
Hinter jeder Unternehmensinsolvenz stehen etwa zehn stille Betriebsschließungen. Wenn wir das nicht mit neuen Gründungen ausgleichen können, werden wir zukünftig deutlich weniger Unternehmen in Deutschland und Bayern haben. Dabei spielen auch die Übergaben von Unternehmen an Nachfolger eine große Rolle. Besonders die bürokratischen Vorgaben schrecken die aktuelle „Übernehmergeneration“ ab, Betriebe zu übernehmen. Es ist für Nachfolger oder – im Fall von Familienunternehmen – die Erbin oder den Erben abschreckend zu erleben, wie die Eltern nach der Tagesarbeit nachts oder an Sonntagen Formulare ausfüllen müssen und immer mit der Angst vor Kontrollen oder sogar Strafen leben müssen.
Wie stehen Sie grundsätzlich zur Erbschaftsteuer?
Sie ist bei Betriebsnachfolgen trotz der Ausnahmeregelungen total kontraproduktiv. Die Politik muss wissen, dass sie damit eine gewachsene Mittelstandskultur, die das Land geprägt und stabilisiert hat, weiter ausdünnt. Wir befinden uns in einer Umbruchphase, wie sie noch keiner von uns erlebt hat. Zum einen wird sie von außen geprägt: durch Zölle, Protektionismus, Embargos, Kriege, Konflikte. Und durch Verschiebung der politischen Gewichte sowie durch eine veränderte Nachfrage. Aber auch im Inneren brodelt es. In dieser Phase müssen wir dringend auf Stabilitätsanker setzen und dazu gehört zweifelsfrei der deutsche Mittelstand. Deutschland sucht sich im Moment selbst. Mit einigen Schmerzen. Es ist zu hoffen, dass es bald wieder zu sich findet.